Kalenderblatt Juli 2022

Juli 2022

Jagdschloss in Wabern — Mitten in Nordhessen

Der Zolldirektor i.R. August Woringer, 1930 bis 1945 Vorsitzender der Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck, schreibt in einem nicht datierten Aufsatz über Wabern und sein Schloss. "In fruchtbarer Ebene gelegen, bot das Dorf seinen Einwohnern auskömmliche Nahrung, wäre aber wohl sonst nicht hervorgetreten, wenn es nicht in weiteren Kreisen bekannt geworden wäre durch den Verkehr auf der Landstraße und durch die Reiherjagd. Die Kassel-Frankfurter-Straße führte damals nicht, wie später und heute noch über Gudensberg und Fritzlar nach Jesberg. Fritzlar war ja mainzisch: Es war die Hauptstadt der drei Ämter, die Mainz bis 1803 mitten in Hessen behauptete (Fritzlar, Amöneburg und Naumburg). Durch fremdes Gebiet wollte man aber die wichtige Straße nicht gehen lassen, auf der die Frachtzüge der Kaufleute unter hessischem Geleite, d. h. unter dem Schutze sie begleitender hessischer Kriegsmannschaften, zur und von der Frankfurter Messe fuhren. So bog dann die Straße von Dissen von ihrem jetzigen Lauf ab, führte über Deute, Niedervorschütz, Niedermöllrich und Wabern weiter in Richtung Homberg nach Ziegenhain oder über die Tannenhöhe, Großenenglis, Kerstenhausen bis nach Frankfurt. Die Lage an dieser wichtigen Straße brachte es mit sich, dass auch hohe Herrschaften den Ort besuchten, namentlich die in Kassel wohnenden Landgrafen von Hessen. Von Landgraf Karl wissen wir das für das Jahr 1697 aus seinem eigenen Tagebuche".

Am 18. Januar begab sich der Landgraf nach Großenenglis um Trappen zu schießen, die damals in Hessen häufig waren. Dabei kam er wohl über Wabern. Auch am 11. Februar zog er von Felsberg nach Ziegenhain. Am 14. April reiste der Landgraf über Wabern nach Speckswinkel. In Wabern kam er mit dem Obersten von Wartensleben zusammen, der von Venedig zurückkam, wo er wegen des vom Landgrafen den Venetianern gegen die Türken zu Hilfe geschickten Regiments verhandelt hatte. Am 23. April ritt er in Wabern mit seiner Gemahlin Amalie zur Reiherbeize. Woringer vermutet, dass es damals bereits eine Unterkunftsmöglichkeit für die hohen Herrschaften gegeben haben muss.

Robert Pessenlehner schreibt in der Zeitschrift des Fuldaer Geschichtsvereins (Jahrgang 1960, Nr. 3/4) "das vorhandene kleine Gutshaus der verhältnismäßig geringen Domäne". Die vielen Aufenthalte in Wabern und die wenig zufriedenstellende Unterbringung der hohen Herrschaften führte zu dem Entschluss des Landgrafen, in Wabern ein Jagdschloss zu errichten. Mit dem Bau des Hauptgebäudes wurde Anfang des Jahres 1701 begonnen, was sich aus dem Baubericht des Wolrads Meysenbug ergibt. Nach der Fertigstellung (1711) kamen die landgräflichen Herrschaften noch öfter nach Wabern zur Jagd. Da der Landgraf seiner Gemahlin Marie Amalie das Gut und das Schloss im Rahmen einer Schenkung übereignet hatte, blieb ihr das entscheidende Wort bei der Innenausstattung des Schlosses überlassen. Dabei ging es keineswegs kleinlich zu. An Gemälden, Porträts und Stillleben nannte die Landgräfin 288 Objekte ihr Eigentum. In Wabern davon 70. Die Liste umfasste mehrteilige Service, Goldgeräte, Silberobjekte, Kleinkunstwerke wie Statuetten, Dosen, Miniaturen, Leuchter und Elfenbeinarbeiten. Im Nachlass der Landgräfin befand sich auch Schmuck im Wert von 74.000 Rt, darunter 72 Objekte mit Diamanten, 14 mit Smaragden, 15 Perlenketten und 44 Ringe.

Am 12. Juni 1653 hatte Landgraf Karl auf Wunsch seiner Mutter Marie Amalie von Kurland geheiratet. Sie war die Braut seines verstorbenen Bruders Wilhelm VII (Landgraf von 1651 bis 1670) gewesen. Sie soll keine geistig anspruchsvolle Erziehung genossen haben, besaß aber "ungefärbte Gottesfurcht und alle anderen Ihrer hohen Naissance gemässen Tugenden, redete die französische Sprache fertig, zeigte sich leutselig, milde und gütig auch gegen andere Personen". Die Ehe sollte eine überaus glückliche werden, nicht nur mit reicher Kinderschar gesegnet, sondern auch von innerer Harmonie beider Ehegatten getragen, wie ein reicher Briefwechsel während der Zeiten der vorübergehenden Trennungen erkennen lässt.

Marie Amalie war in erster Linie Gattin, Mutter, Hausfrau. Mit allen christlichen Tugenden widmete sie sich der wachsenden Kinderschar und erfüllte die an eine Landesmutter gestellten Anforderungen der Fürsorge und Hilfsbereitschaft für Arme und Gebrechliche. Sie nahm wohl an dem politischen Geschehen lebhaften Anteil, entwickelte zum Bedauern des Landgrafen jedoch keinen politischen Ehrgeiz.

Bis in das Jahr 1700 hat sie die zahlreichen Ortsveränderungen ihres Mannes mitgemacht. So die häufigen längeren Jagdaufenthalte im Säuglingswald, im Burgwald, im Reinhardswald, die Aufenthalte in Wabern und anderen Jagdschlössern, die regelmäßigen Kuraufenthalte und die Reisen an die befreundeten Höfe. Aus dem Briefwechsel ist zu entnehmen, das sich nun häufig Unpässlichkeiten bemerkbar machten. Sicherlich haben fünfzehn Schwangerschaften, der Verlust von drei Söhnen an ihrer Gesundheit gezehrt. Aus diesem Grund reiste sie im Jahre 1711 nach Bad Weilmünster. Dort verstarb sie unerwartet am 16.06.1711.

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