Kalenderblatt Januar 2022

Januar 2022

Der Reihersee

Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lag der Reihersee im damals rund 40 ha großen und fast bis an die Schwalm reichenden Reiherwald. In einigen Arbeiten wird die Auffassung vertreten, dass der Bereich zur Schwalm hin mit Tümpeln und sumpfigen Stellen übersät war und es sich beim Reihersee um ein weiteres natürlich entstandenes Gewässer handelt.

Mit der Abholzung des größten Teils des 85 ha großen Reiherwalds in den 1880er Jahren wurde aus dem Waldsee ein offenes Gewässer, das von Weiden umgeben war. Von diesen Weiden ist bis heute nur ein kläglicher Rest von einigen wenigen Bäumen verblieben. Die großen Stammdurchmesser zeugen von einem hohen Alter dieser Bäume, Weiden können 80 bis 100 Jahre erreichen, bei besten Bedingungen auch 200 Jahre.

Auffallend ist die im Bezug zum Bodenniveau etwa ein Meter tiefer liegende Wasseroberfläche mit seinen steil abfallenden Ufern. Diese Beobachtung kann zu der Vermutung führen, dass das im Ursprung vielleicht natürliche Gewässer unter menschlicher Einflussnahme seine neuzeitliche Gestalt erhielt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der See erst mit den topografischen Karten der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts dokumentiert wird. Im Schleensteinschen Kartenwerk aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts ist der Reihersee nicht verzeichnet, obwohl an anderen Orten Fischteiche und ähnliche kleine Gewässer sehr wohl wiedergegeben sind.

Der Reiherwald war im 17. und 18. Jahrhundert bekannt für seine große Reiherkolonie, die den Anlass der regelmäßigen Fürstenlager für die höfische Reiherbalz und dem daraus folgenden Bau des Jagdschlosses bot. Sogar ein Reiherwärter, der sich um die Pflege und Hege der Reiher zu kümmern hatte, war zu dieser Zeit bestellt worden. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass aus diesem Grund eine planmäßige Veränderung des Sees ausgeführt wurde. Für Arbeiten dieser Art sind hauptamtliche Wasserbaumeister an der Eder nachweisbar und als Vorbereitung für ein Fürstenlager beschreibt ein Aktenstück der hessischen Regierung zu Kassel aus den Jahren 1764 bis 1770 die Planungen zur Reparatur des Fischteichs in Wabern.

Es handelte sich dabei um ein etwa 7m auf 5m großes Becken mit gemauerten Wänden und sechs eingesetzten hölzernen Kästen zur Aufnahme der für die Verköstigung der höfischen Jagdgesellschaft des Fürstenlagers vorgesehenen Speisefische. Die genaue Lage dieses Becken ist nicht bekannt, aus einem Aufriss des Beckens kann nur entnommen werden, dass es in der Nachbarschaft des „Flutgrabens” lag. Dieser Flutgraben ist nicht mit dem Graben zu verwechseln, der aus dem Zenner Feld herkommen unter der Rosenstraße entlang läuft, sondern wird entweder der ehemalige Mühlengraben sein, der dem Verlauf des Wimmers folgte oder der Graben zwischen dem verschwundenen Gutshof und der Kurfürstenstraße.

Dieses Fischbecken ist heutzutage verschwunden, ein ähnliches Schicksal drohte in den 1960er und 1970er Jahren auch dem Reihersee. Die ältere Generation der Waberner erinnert sich noch gut daran, in den Jahren nach dem Krieg regelmäßig auf dem Reihersee Schlittschuh gelaufen zu sein. Dann aber wurde beschlossen, den See als Bauschuttdeponie zu gebrauchen. Bis zur Mitte der Siebziger war von der Wasserfläche wenig verblieben. Im Frühjahr 1980 begann die Renaturierung, der See wurde wieder ausgebaggert und das Umfeld parkähnlich gestaltet. Da keine nachhaltige Pflege des Geländes erfolgte, holte es sich die Natur in den letzten Jahrzehnten zurück. Heutzutage ist es während der Vegetationsperiode fast unmöglich bis zum See zu gelangen, heranwachsender Wald und dichtes Unterholz verhindert den Zugang.

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