Kalenderblatt Oktober 2022

Oktober 2022

Die Schwalm - Eine Wanderung zwischen zwei ehemaligen Mühlen (1)

Die Schwalm (von althochdeutsch: "Sualme" - Nebel, Dampf- bzw. Schwalbenwasser) ist der Hauptzufluss der Eder. Als kaum wahrnehmbares Rinnsal entspringt der Fluss am nördlichen Rand des Vogelsberges, auf einer Höhe von 500 Meter über NN, etwa 200 Meter südöstlich der Kreisstraße K130, zwischen den Orten Meiches und Köddingen. Nördlich von Heidelbach verlässt sie den Vogelsbergkreis und fließt in den Schwalm-Eder-Kreis, schlängelt sich dann durch die nach Ihr benannten Region der "Schwalm" mit seinen Orten Schrecksbach, Willingshausen und Schwalmstadt. Von Neuental und Bad Zwesten, durch den Löwensteiner Grund kommend, erreicht sie westlich von Kerstenhausen das Borkener Gebiet. Sie durchbricht die Schwalmpforte zwischen Kleinenglis und Kerstenhausen mit der nördlich gelegenen Hundsburg (335 m hoch) und dem südlichen Altenburg (434 m hoch). Hier strömt sie durch das Borkener — Waberner Becken und erreicht nach der Schwalmmühle bei Singlis die Gemarkung der Großgemeinde Wabern.

Das Gebiet der Schwalm ist durch flache Hänge, weite Talmulden und breite Terrassenflächen gekennzeichnet, die zum Teil mit einer mächtigen Lößlehmdecke überzogen sind. Insgesamt ist der Fluss ein ruhiges Gewässer mit einem feinkörnigen Grund. Dies ist auf das geringe Gefälle zurückzuführen, das durchschnittlich 60 cm bis 130 cm auf 1.000 Meter beträgt. In früheren Jahren führte dieser Umstand zu häufigen Frühjahrs- und Herbstüberschwemmungen. Diese regelmäßigen Hochwasser gehörten der Vergangenheit an. In den 1960er Jahren wurden bei Heidelbach und zwischen Ziegenhain und Treysa zwei Hochwasser rückhaltebecken sowie an der Antrift eine Sperrmauer errichtet. Diese regelmäßigen Überschwemmungen haben aber auch dazu geführt, dass der aufgeschwemmte Lössboden zu fruchtbarem Ackerland wurde.

Der Fluss ist ökologisch von großer Bedeutung und als Landschaftsschutzgebiet "Auenverbund Schwalm" ausgewiesen. Der Landschaftsschutz dient der Erhaltung und Weiterentwicklung des Talauen-Charakters des Flusses mit seiner Funktion als Lebensstätte auentypischer Tier- und Pflanzenarten. Blühende Teichrosenfelder, lichte Galerien- wälder am Ufer, der still in der überhängenden Weide sitzende Eisvogel, eine Entenfamilie zieht vorbei, Schmetter- linge und Bienen suchen Nahrung, Störche, Grau- und Silberreiher sowie Gebirgsstelzen stehen am seichten Ufer. Diese Flora und Fauna kann man sehen, wenn man still und aufmerksam dem Schwalmlauf folgt.

Meine wöchentlichen Wanderungen mit meinem Freund Kurt führen uns oft entlang der Schwalm. So auch an einem schönen Sommertag, als uns der Weg von Singlis über die ehemalige Schwalmmühle an unser heimatliches Gewässer führte. Die Mühle wurde bereits in einer Urkunde des Klosters Haina vom 10.09.1265 erwähnt. Sie stand damals am dorfseitigen Schwalmufer. Im Jahre 1511 wurde die Mühle wegen schlechter Wasserverhältnisse aufgegeben und vom damaligen Müller Theis Wyner (Wagner) auf das heutige Mühlengelände verlegt. Theis Weyner war der Bruder des damaligen Abtes Dietmar von Haina und von diesem zunächst als "Hofmann" in das Singliser Klostergut, hierzu gehörte auch die Mühle, eingesetzt worden. Nach er Homberger Synode (21./22.10.1526), auf der die Reformation durch Langraf Philipp des Großmütigen beschlossen wurde, erging die Säkularisierung (Auflösung) des Kloster Haina und seiner Besitzungen. Die Mühle, die im Jahre 1511 und 1513 durch eine neue Mühle ersetzt worden war, wurde nun eine Universitäts-Erb-Lehn-Mühle. Als Erbbeständer setzte der Landgraf im Jahre 1531 Hans Weyner (Wagner) ein. Im Jahre 1710 ließ Philipp Wagener, ein Nachkomme von Theis, die im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigte Mühle abreißen und ein neues Mühlengebäude nebst Wohnhaus errichten. Im Jahre 1842 hat Johannes Noell aus Mühlhausen in die Mühle eingeheiratet und das Geschäft des Müllers übernommen, da die bis dahin ununterbrochene männliche Geschlechterfolge "Wagner" zu Ende gegangen war. Am 18.12.1918 brannten Mühle und Wohnhaus bis auf die Grundmauern nieder. Sie wurden im Jahre 1919 wieder aufgebaut. Die vorhandenen Fotografien zeigen einen stattlichen Gebäudekomplex im Fachwerkstil. Hans Noell, der letzte Mühlenbesitzer, beschäftigte 1948 noch vier Müller. Der allgemeine Strukturwandel und der Druck der GroRmühlen führte landesweit zur Aufgabe der handwerklichen Mühlen. Am 30.09.1972 wurde auch in Singlis der Mühlenbetrieb eingestellt.

Am 01.07.1976 verkauft Noell seine Mühle mit E-Werk, Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude und Ländereien an die Preag. An der Sportanlage des TSV Eintracht Singlis vorbei nähern wir uns dem Flusslauf. Wir schauen auf den nördlich des fließenden Gewässers liegenden Südhang des Dosenberges mit seinen beiden höhlenartigen Gängen, den "Wichtelhöhlen". Bereits die Gebrüder Grimm berichten in mindestens drei Sagen von den Höhlen und den Wichtelmännchen. Die bekannteste dürfte wohl die vom Bauer Toby aus Singlis sein. Er fuhr die Wichtel, als sie für immer das Innere vom Dosenberg verließen, mit seinem Pferdefuhrwerk durch die Schwalm an das Singliser Ufer. Dafür wurde er von den Wichteln mit reichlich Gold beschenkt. Friedrich Döring erzählt in seinem Aufsatz von den sagenumwobenen Wichtellöchern in der im Jahr 2012 herausgegebenen Chronik der Gemeinde Uttershausen. Er gibt auf die Frage Antwort, wie die Höhen entstanden sind. Zunächst sind sie Bestandteil der niederhessischen Tertiärsenke. Die hier aufgeschlossene Steilkante liegt im Bereich des Prallhanges der Schwalm.

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