Das schönste Geschenk nach einer Geschichte von Ursula Glaser
In meinen Erinnerungen war die Advents- und Weihnachtszeit die schönste Zeit in meinem Elternhaus. Wenn am Abend das Feuer im Ofen brannte, versammelten wir uns um den großen Tisch. Mein Vater las uns Kindern jeden Abend eine Weihnachtsgeschichte vor. Danach hatten wir drei Kleinen eiligst zu verschwinden. Nur Mama kam noch zum Beten und Gute-Nacht-Sagen zu uns herauf in das Schlafzimmer.
Erst viel später erzählte uns unsere Mutter, welche Betriebsamkeit dann im Wohnzimmer herrschte. Zunächst wurde geplant, entworfen und gezeichnet. Die Zeichnungen wurden auf Sperrholzplatten übertragen. So entstand nicht nur eine Weihnachtsgrippe, bei der keine der wichtigen Figuren fehlte, sondern auch der Bauernhof meiner Großeltern. Das Esszimmer meiner Eltern bastelte mein Vater in Kleinformat für uns Mädchen. Das Puppenschlafzimmer und eine Burg für meinen Bruder.
Auch auf die Sommerferien freuten wir Kinder uns besonders, denn dann fuhr die ganze Familie zu den Großeltern auf ihren Bauernhof. Mitten in die Freude platzte 1939 der Gestellungsbefehl für meinen Vater. Mit dem nächsten Zug fuhren meine Eltern nach Hause, damit mein Vater noch die Mirabellen und Pflaumen von den Bäumen holen konnte, bevor er einrücken musste.
Ich war damals 7 Jahre alt. Von nun an kam unser Vater nur noch zu Besuch. Wir waren sehr glücklich, dass er immerhin an Weihnachten kommen durfte.
Anfang Dezember 1941 kam ein Feldpostbrief aus Frankreich. Er schrieb, dass er leider dieses Jahr an Weihnachten nur in Gedanken bei uns sein könne. Mutter kullerten die Tränen. Wir Kinder standen hilflos daneben. Doch wir wurden bald durch Schule, Hausaufgaben und Spielen mit Freunden abgelenkt. Täglich übten wir Weihnachtslieder auf dem Klavier. Jeder lernte ein Weihnachtsgedicht.
Hierbei fragten wir Mutter: „Für wen, wer hört uns zu?“. Sie versicherte uns immer wieder, dass Oma bestimmt kommen würde. Sie versprach uns zum Trost, dass wir in diesem Jahr anstelle von Vater den Weihnachtsbaum schmücken dürften.
Der Heilige Abend kam. Wir bereiteten das Baumschmücken vor. Zuvor mussten wir Tüten mit Äpfeln und Gebäck zu den Kranken und Alten unserer Gemeinde bringen. Nach dem Mittagessen hieß es, dass wir alle drei zum Bahnhof gehen und die Oma abholen sollten. Auf die Frage, wann wir den Baum schmücken durften, wurden wir von Mutter vertröstet. Also zogen wir uns warm an und gingen zum Bahnhof. Dort warteten wir im scharfen Wind auf die Oma. Als der Zug eintraf und die Großmutter die Treppe heraufkam, winkten wir ihr freudig zu. Als sie durch die Sperre kam, nahmen wir ihr das Gepäckstück ab und erzählten ihr voller Vorfreuden, dass wir zuhause nun den Tannenbaum schmücken dürften. Bei Mutter erwartete uns eine Kaffeetafel. Wir wollten nun den Weihnachtbaum schmücken. „Das Weihnachtszimmer ist geschlossen“, antwortete sie geheimnisvoll. Wir waren enttäuscht und machten Mutter Vorwürfe. Oma war es dann, die uns beruhigte.
Draußen war es längst dunkel, als das vertraute Weihnachtsglöckchen ertönte. Die Tür zum Weihnachtszimmer stand offen. Kerzenschein leuchtete uns entgegen. Mutter spielte auf dem Klavier „Ihr Kinderlein kommet“ Ihr Gesicht strahlte. Wollte sie damit unseren Groll besänftigen, unsere mürrischen Gesichter aufhellen?
Durch eine Kopfbewegung lenkte sie unsere Blicke in die dunkle Ecke, dort wo unser Sofa stand. „Papa“, jubelten wir alle drei und stürzten auf ihn zu. Er war mit einem Urlaubszug gekommen und sofort mit einem Taxi nach Hause gefahren.
Aus dem Buch „Stille Nacht, Heilige Nacht - Weihnachtsgeschichten aus schwerer Zeit”, herausgegeben vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge e.V.