Eisenbahnnebenstrecke (Sekundärbahn) Wabern - Bad Wildungen (Teil 2)
Der Preußische Staat strebte grundsätzlich bei seinen Eisenbahnstrecken eine Vernetzung an und vermied die Anlage von Stichbahnen. Auch die Strecke nach Wildungen sollte mittelfristig in nordwestlich in Richtung Ruhrgebiet verlängert werden. Die Planung wurde beschleunigt, als feststand, dass am 1. April 1907 der Bau der Edertalsperre beginnen sollte. Im Jahre 1909 konnte der Streckenabschnitt Wildungen - Buhlen vollendet werden. Da sich der Baubeginn der Edertalsperre verzögert hatte, konnte nun die gesamte Materialzufuhr über die Bahn erfolgen. Dieser neue Streckenabschnitt wurde in den folgenden Jahren nach Korbach bis nach Brilon Wald verlängert.
Je nach Richtung rollten laut Sommerfahrplan 1914 zwölf bzw. dreizehn Reisezüge zwischen Wabern und Bad Wildungen. Mit dem Potsdamer Bahnhof in Berlin bestanden Kurswagenverbindungen. Durch die Folgen des Ersten Weltkrieges befuhren 1925 lediglich sechs Reisezugpaare täglich die Strecke. Im Winter 1937/1938 rollten täglich neun Reisezugpaare auf der Nebenbahn, hierunter ein Eilzugpaar Chemnitz - Bad Wildungen mit Kurswagen von und nach Berlin. Weiterhin fuhr ein Zug - auf die Bedürfnisse der Garnison Fritzlar ausgerichtet - an Sonntagen von Kassel bis Fritzlar. Der Sommerfahrplan 1939 weist noch einen höheren Zugverkehr auf. Hinzu kam ein zusätzlicher Eilzug, der Bad Wildungen mit Hamburg verband.
Die Strecke überstand den Zweiten Weltkrieg weitgehend ohne direkte Kriegseinwirkungen. Lediglich das Hochwasser im Edertal nach der Zerstörung der Ederstaumauer am 17. Mai 1943, führte zu erheblichen Schäden. Nach Fahrplan befuhren im Sommer 1946 täglich wieder vier Reisezugpaare die Strecke. Ab 1949 waren es wieder zwölf Paare. Mitte der 50er Jahre ist eine hohe Frequentierung der Bahnhöfe nachzulesen. Die Firmen Mauser (Waldeck), Correcta/Metzler in Bad Wildungen und Wega, die Firma Fahrrad-Schminke (Bad Wildungen), Hengstenberg in Fritzlar und die Spinnerei Mehler in Zennern führten zu einem hohen Güterverkehrsaufkommen. Hinzu kamen die Transporte auf das Kasernengelände in Fritzlar. Zur Bewältigung des umfangreichen Rangierdienstes wurden auf den Bahnhöfen Bad Wildungen und Fritzlar Kleinlokomotiven (Kö) stationiert.
Beim Reisezugverkehr sah die die Entwicklung in dieser Zeit differenzierter aus. Zunächst nahm das Angebot an Reisezügen noch zu. An Werktagen außer Samstagen enthält der Fahrplan 1958 sogar 14 Zugpaare. Aber dann wurden die Zufahrten reduziert. Gestrichen wurden vor allem Fahrten in den Vormittags- und den Abendstunden. Aber es gab auch eine Verbesserung. Im Jahre 1968 bekam die Strecke wieder eine direkte Fernverkehrsanbindung durch die Einlegung von Kurswagen Bad Wildungen - Westerland/Sylt, die zwischen Wabern und Westerland im Eilzug Trier - Westerland mitgeführt wurden.
War die Strecke zwischen Wabern und Bad Wildungen bis 1972 noch für eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h ausgebaut worden, begann parallel ein unaufhaltsamer Niedergang. Ab 1970 wurde die Stückgutabfertigung eingestellt. Die Einsparungsbemühungen der Deutschen Bundesbahn zogen ab 1975 rigide Angebotseinschränkungen nach sich. An Werktagen verblieben acht bis neun, an Feiertagen gar nur zwei bzw. drei Züge je Richtung. Ab 1978 entfiel der Feiertagsverkehr gänzlich und an Werktagen rollten nur noch sieben bis acht Züge je Richtung.
Der Bahnabschnitt Bad Wildungen - Korbach wurde 1995, nach dem die Schnellzugverbindung nach Amsterdam bereits 1991 entfallen war, 1995 stillgelegt, lediglich der Abschnitt bis zum Edersee blieb bis zur Sommersaison 2000 erhalten. Seit den 90er Jahren war erkennbar, dass die Deutsche Bundesbahn für die Strecke Wabern - Bad Wildungen kein klares Konzept hatte. Die ständig wechselnde Anzahl der Zugverbindung führte in Fachkreisen zu der Bezeichnung "Chaos-Fahrpläne".
Der Abwärtstrend entwickelte sich im Güterverkehr noch auffälliger. Ende der 70er Jahre verabschiedete sich der Schaumstoffhersteller Correcta/Metzler von der Schiene. In Bad Wildungen schlief der Güterverkehr allmählich ein. In 1992 war endgültig Schluss. Auch der Gleisanschluss der ehemaligen Firma Mehler (später Landmaschinen Becht) in Zennern wurde in diesem Jahr aufgehoben. Lediglich der Wagenladungsbahnhof Fritzlar blieb bestehen. Hier ergab sich Anfang der 90er Jahre ein reger Verkehr auf der Schiene. Durch die umfangreiche Gleisbautätigkeit in den neuen Bundesländern nahm der Kiesversand erheblich zu. Von der Anlage August Oppermann wurden zeitweise täglich bis zu 6 Züge von je 50 Achsen auf den Weg gebracht. Der Anschluss der Firma Hengstenberg wurde schon jahrelang nicht mehr genutzt und 1994 abgebaut.
Der Nordhessische Verkehrsverband, seit 1996 zuständig für die Organisation des öffentlichen Personennahverkehrs in Nordhessen, ließ auf der Strecke einen Zweistundentakt einrichten. Zwei Jahre zuvor, am 28. Mai 1998, war für den Regionalbahnverkehr ein neuer Betreiber für die Strecke gefunden. Seit dieser Zeit ist die Kassel-Naumburger Eisenbahn AG für die Strecke zuständig.
Quelle: Aufsatz Dr. Lutz Münzer