Eisenbahnnebenstrecke (Sekundärbahn) Wabern - Bad Wildungen (Teil 1)
Zwischen dem Kurfürstentum Hessen-Kassel, dem Großherzogtum Hessen und der freien Stadt Frankfurt a. M. wurde am 06.02.1845 beschlossen, die Main-Weser-Bahn zwischen Kassel und Frankfurt a.M. zu errichten. Die Streckenführung erfolgte aus topografischen Gründen durch den südöstlichen Teil des fruchtbaren Waberner Beckens. Die erste durchgehende Zugverbindung wurde am 15.05.1852 eröffnet.
Bereits in den folgenden Jahren wurde der Wunsch in Fritzlar und Bad Wildungen immer nachdrücklicher, diese beiden Städte mit einer Sekundärbahn (Nebenstrecke) eine Verbindung zur MAIN-WESER-BAHN herzustellen. Wegen der geringen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des westwärts anschließenden Ederberglandes und seiner für den Bahnbetrieb schwierigen landschaftlichen Reliefverhältnisse, fanden sich jedoch keine Interessenten für den Bau der Bahm Ein 1877 in Bad Wildungen gegründetes Eisenbahnkomitee begann zwar auf Grundlage einer ministeriellen Genehmigung mit Vorarbeiten für eine Stichbahn, scheiterte aber an der Kapitalbeschaffung.
Mit dem Gesetz der Königlich Preußischen Staatsregierung vom 15. Mai 1882 wurde das Königliche Ministerium der öffentlichen Aufgaben ermächtigt, den Bau einer Eisenbahn von Wabern nach Wildungen zur Ausführungen zu bringen. In Verbindung mit der Planung wurde eine Verkehrs- und Wirtschaftlichkeitsprognose erarbeitet, um die Bauwürdigkeit des Obiekts zu prüfen und — im positiven Falle — die Anlagen entsprechend den Bedürfnissen gestalten zu können. In der Rentabilitätsberechnung für die Strecke heißt es:
"Das engere Verkehrsgebiet der projektierten Eisenbahn von Wabem nach Wildungen umfasst zunächst dieienigen bis etwa 8 km von den Stationsorten entfemt liegenden Ortschaften, welche mit ihrem ganzen Verkehr auf die Benutzung angewiesen sind."
Die Planer ermittelten in dem 560 km² großen Verkehrsgebiet mit 39.000 Einwohnern, also einen Durchschnitt von 70 Einwohner/km². Es handelte sich für einen ländlichen Raum um einen respektablen Einwohnerdichtewert. Bei der Berechnung wurden nicht nur die Städte Fritzlar und Wildungen berücksichtigt, sondern auch zu einem großen Teil die Gemeinden des Waberner Beckens. Bei der Prognose für Frachtgüter wurden in erster Linie landwirtschaftliche, forstwirtschaftliche und gewerbliche Erzeugnisse erwartet.
Der Streckenbau stellte keine besonderen Ansprüche an die Planer. Dies spiegelt sich im Kostenvoranschlag wider, in dem der Anteil der Aufwendungen für Erdbewegungen und Kunstbauten ungewöhnlich niedrig angesetzt wurde. Die Strecke verläuft mit geringer Neigung größtenteils unmittelbar neben der Straße. Bei Wega wird das Edertal verlassen und nun folgt die Strecke mit geringer Steigung dem schmalen Tal der Wilde bis Wildungen. Da sich die Stadt Fritzlar auf einer Höhe oberhalb der Eder befindet, musste der Bahnhof in etwa einem Kilometer Abstand von der Stadtmitte errichtet werdem Der Bahnhof in Wildungen erhielt seinen Standort 500 Meter entfernt vom gleichfalls hoch gelegenen Stadtzentrum. Ansonsten konnten alle direkt an der Strecke liegenden Siedlungen in unmittelbarer Ortsnähe Haltestellen bekommen.
Lediglich Fritzlar und Wildungen bekamen gemauerte Stationsgebäude mit Dienstwohnungen im Obergeschoss. Wega, Mandern und Zennern erhielten dagegen einfache, barackenåhnliche Empfangsgeböude in ausgemauertem Fachwerk.
Die im Jahre 1881 gefertigte Ertragsprognose ging von einem Betriebsüberschuss von 588 Mark pro Kilometer aus. Der Betriebsgewinn der Nebenbahn hätte nur 11,3 % ausgemacht, bei den Staatsbahnen lagen aber die Betriebseinnahmen bei durchschnittlich 47,6 %. An der Rentabilität der Nebenbahn haperte es also zunächst.
Wie in der Betriebsplanung vorgesehen, fuhr anfänglich eine Zuggarnitur dreimal täglich die Strecke in jeder Richtung und beförderte sowohl Personen als auch Güter. Nach den vorliegenden Bildern kamen vermutlich Maschinen der damals neuen Gattung T 3 zum Einsatz. Es ist davon auszugehen, dass die Züge anfänglich aus zwei II./III.-Klasse- Wagen, einen III./IV.-Klasse-Wagen und einem kombinierten Gepäck-/Postwagen bestanden haben. Weiterhin hatte durchschnittlich jeder Zug zusätzlich zwei beladene Güterwagen, einen Stückgutwagen und ein Leerwagen. Schon unmittelbar nach der Betriebseröffnung wurde das eerwartete Verkehrsaufkommen, besonders bei Stückgut weit übertroffen. Diese Verkehrszunahme führte dazu, dass in den 1890er Jahren zusätzliche Reise- und Güterzüge eingesetzt wurden. Die über 100 Achsen langen Militärzüge der Garnison Fritzlar mussten wegen der kurzen Gleise in Fritzlar von hier bis Wabern in zwei Teilen befördert werden. Dieses höhere Verkehrsaufkommen veranlasste die Eisenbahnbehörde zusätzliche Nebengleise und Weicheneinheiten in Fritzlar einbauen zu lassen.
In Wabern bekam der Bahnhof gleichfalls größere Dimensionem. Nach einem Plan von 1896 existierte dort im Winkel (Gleisdreieck) zwischen der Gleisführung der Main-Weser-Bahn und der Nebenbahn ein Lokschuppen mit einer Drehscheibe.
Quelle: Aufsatz Dr. Lutz Münzer