Karl Bachmann - seine Flucht aus der DDR
Am 25.11.2014 erschien in der HNA ein Artikel unter der Überschrift "Zu Fuß bis zur Grenze". Dieser Bericht beruht auf Erzählungen von Christine Heßler, geb. Bachmann, und den Aufzeichnungen ihres Vaters Karl Bachmann (*1921 in Creuzburg +1998 in Wabern). Es wird die Flucht aus der DDR erzählt.
Karl Bachmann war in Creuzburg an der Werra (Thüringen) aufgewachsen. Er hatte am 18.06.1949 vor dem Standesbeamten in Mihla (Thüringen) die kaufmännische Angestellte Anni Ulrich (*1928 in Mihla +2013) geheiratet. Aus der Ehe gingen die Kinder Marion (*1949 Mihla), Christine (*1950 Creuzburg) und Joachim (*1955 Wabern) hervor.
Im Jahre 1951 war Karl Bachmann dem Staatssicherheitsdienst (Stasi) aufgefallen. Sein Nachbar, ein Drogist, war plötzlich verhaftet worden. Bachmann hatte diese Zwangsmaßnahme beobachtet und diese Unmenschlichkeit kommentiert. Es dauerte drei Wochen, bis die Stasi auch ihn abholte. Mit dem nicht zutreffenden Vorwurf "er habe die DDR schlecht gemacht und Flugblätter verfasst" wurde die Verhaftung begründet. Er wurde nach Weimar gebracht. Obwohl er die Anschuldigungen verneinte, gab die Stasi keine Ruhe. Er wurde dann in der Zeit vom 30.06. bis 16.07.1951 fast jede Nacht verhört und gefoltert. In seiner Einzelzelle entdeckte er die Möglichkeit, durch einen Wärmeschacht mit seinem Nachbarn zu kommunizieren. Hierbei sprach er auch über die ihm gegenüber geäußerten falschen Vorwürfe.
Was dann geschah, überraschte den gelernten Packer und Expedienten, der im BMW-Werk in Eisennach arbeitete. Bereits wenige Minuten nach dieser Unterhaltung rasselte der Zellenschlüssel. Das Gespräch war wohl abgehört worden. Karl Bachmann wurde freigelassen. Er musste sich jedoch verpflichten, für die Stasi zu arbeiten. Er bekam den Decknamen "Rudolf" und sollte wöchentlich Berichte über politische Äußerungen von Firmenkollegen abgeben.
Der inhaftierte Drogist hatte Bachmann gebeten, seiner Ehefrau Nachrichten zu überbringen. In seinen Erinnerungen schreibt Bachmann: "Die Frau unseres Drogisten hatte sich inzwischen einen Freund angeschafft, der ihr angeblich helfen wollte. Meine Dummheit war, dass ich der Frau alles erzählt habe und am anderen Tag feststellen musste, dass dieser Freund ein Stasi-Mann war". Die Reaktion blieb nicht aus, Bachmann wurde verraten und zum Gespräch bei der Stasi am Abend um 23.00 Uhr einbestellt. Der Familienvater ahnte nichts Gutes und dachte über eine Flucht nach. Aber aus Rücksicht auf seine Frau und die beiden Mädchen sah er vorerst davon ab. Nachdem er sich entschlossen hatte, der Einladung zu folgen, warnte ihn ein Kollege: "Wenn du hingehst, dann kommst du nieder wieder heim". Nach diesem Gespräch entschied er sich am 09.10.1951 doch zur Flucht.
Nun war Eile geboten. Auf dem Weg von seiner Arbeitsstätte zur Wohnung, entdeckte Bachmann, dass die Polizei schon vor der Tür stand. Durch die Hintertür kam er in die Wohnung, nahm ein paar Kleidungsstücke mit und machte sich auf abenteuerlichen Wegen auf Richtung Grenze. Zehn Stunden benötigte er für 3 Kilometer. Obwohl die Grenzpolizei schon alarmiert war, schaffte es der junge Mann über die Grenze, die in dieser Zeit noch nicht aus Stacheldraht und Schießanlagen bestand, in den Westen. Nach seiner Meldung bei der westdeutschen Grenzpolizei wurde Bachmann nach Eschwege gefahren, dort von deutschen und amerikanischen Dienststellen verhört und anschließend am 16.10.1951 in das Auffanglager Gießen gebracht. Von dort wurde ihm in Ostbevern (Landkreis Warendorf) bei einem Bauern ein 15qm großer Wohnraum (Stallwohnung) angewiesen. Über Deckadressen schrieb Bachmann Briefe an seine Frau Anni, die mit den Kindern in Creuzburg bleiben musste. Sie bekam die Macht der Stasi zu spüren. Immer wieder wurde sie verhört und ihr die Verhaftung angedroht.
Aus Sehnsucht nach seiner Familie machte sich Bachmann Anfang Dezember 1951 auf den riskanten Heimweg zurück in die DDR. In Creuzburg hatte ihn ein trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ein Mit-Hausbewohner, der ein fanatischer Kommunist war, gesehen. Bald kam die Polizei. Nun galt es schnell zu handeln. Durch ein Kellerfenster, über einen Wäscheplatz und das Nachbargrundstück konnten Karl, Anni und Tochter Marion gegen 19.30 Uhr entkommen. Die ältere Tochter hatte der Vater durch zwei Schlaftabletten fast betäubt. Christine, die jüngere Tochter, weinte so laut, schrieb Bachmann, "dass wir sie unter größten Schmerzen zurückließen". Eine halbe Stunde nach ihrer Flucht brach die Stasi die Wohnungstür auf. Die gelungene Flucht endete für die Familie über das Auffanglager Gießen in Beverungen.
Christine wurde von den Eltern von Anni Bachmann (Emilie und Erich Ulrich) aufgenommen. Sie hielten in Briefen mit verdecktem Absender Kontakt mit Anni und Karl und berichteten über die Entwicklung von Christine. Überdas Deutsche Rote Kreuz gelang ein Jahr später die Familienzusammenführung.
Da Karl immer Kontakte zu seinem Cousin Metzgermeister Karl-Heinz Bachmann (siehe Kalenderblatt 08/2002) gepflegt hatte, kam er mit seiner Familie am 09.08.1953 nach Wabern. Karl Bachmann arbeitete in vier Kampagnen in der Zuckerfabrik, dann fand er Arbeit bei dem Straßenbauunternehmen Gerhard, damals Wabern. Vor seinem Eintritt in die Erwerbsunfähigkeit war er 12 Jahre im Karlshof beschäftigt. Dort leitete er in den letzten Berufsjahren die Ausbildungswerkstatt, Fachbereich Metall.