Kindheit im Karlshof
Der in Wabern gebürtige Heinrich Heßler arbeitete als Werkmeister und Erzieher im Karlshof, dort lernte er auch seine Frau Minna Becker aus Wenzigerode kennen, die als Köchin in den Karlshof kam. 1937 heirateten die beiden und bekamen drei Kinder: 1938 Sohn Horst, (+2001), 1939 Sohn Klaus (+2002) und 1941 Tochter Hannelore. Die Familie wohnte in einer Wohnung im Karlshof, Heinrich Heßler unterrichtete Lehrlinge in der Maler-Werkstatt bis er 1939 als Soldat eingezogen wurde. Im September 1942 war er das letzte Mal zu Hause, im Dezember 1942 fiel er in Russland, da war Tochter Hannelore 11 Monate alt.
Trotz des Krieges und des frühen Todes des Vaters blickt die heute 75-Jährige auf eine insgesamt glückliche Kindheit im Karlshof zurück. Sie erinnert sich noch an die Enge in der Karlshof-Wohnung während der Kriegsjahre, als die Patentante mit zwei Kindern sowie die Großeltern aus Kassel zu ihnen in das sichere Wabern zog. Für die Kinder bedeutete die Großfamilie in der kleinen Wohnung mehr Trubel als Einschränkung.
1944 zogen amerikanische Soldaten in den Karlshof, die mit den deutschen Kindern sehr nett umgingen: "Da hatten wir Kinder Häschens Weide". Wir konnten bei den Amerikanern ein und aus gehen. Wir konnten uns die Schokolade bei ihnen holen - das war für die vollkommen normal. Als sie abrückten, hat mich meine Mutter eingesperrt. Sie hatte Angst, die würden mich mitnehmen. Sie haben zu meiner Mutter gesagt: "Du kein Mann, Kind mit" - die wollten mich nach Amerika mitnehmen. "Für die Verpflegung der Soldaten errichteten die Amerikaner ein großes Zelt im Karlshof-Park. "Wenn die Glocke zum Essen ging, da saßen wir Kinder als erstes drin. Für uns war das eine feine Sache."
Die amerikanischen Soldaten verbrachten ihre Zeit in Wabern recht gemütlich, sie lagen im Liegestuhl und spielten mit den Kindern. Besonders an den einen neuen dunkelhäutigen Nachbarn erinnert sich die damals dreijährige Hannelore bis heute, denn Schwarzafrikaner hatte das Kind bis dahin noch nicht gesehen.
Während der Besatzungszeit lief der normale Alltag weiter. Die Wäsche wurde an der Eder gewaschen und zum Bleichen in die Sonne gelegt. "Der Waschtag war für uns Kinder ein Fest", erinnert sich Hannelore Krimke. Die Kinder gingen schwimmen im Kurfürstenbad an der Eder, fingen Mäuse im "Edderfeld", spielten Verstecken oder "Räuber und Gendarm" und bauten sich Laubhöhlen unter den Bäumen. "Wir haben in dem Park gespielt, das war für uns ein Paradies. Einen schöneren Spielplatz konnten wir gar nicht haben". Das Schwimmen lernten die Kinder in der etwas entfernteren Schwalm, denn die war wärmer als die Eder. An der "Platte", einer betonierten Stelle in der Schwalm nah der Zuckerfabrik, konnte man leicht ins Wasser gelangen. Mit Schilfbündeln unter dem Bauch ging es los: "Es gab ja noch keine Schwimmflügel, manchmal hatte man dann einen Ausschlag, aber bis wir nach Hause kamen, war das meist wieder weg", erinnert sich Hannelore Krimke lachend.
Einmal in der Woche gingen sie zur Kinderstunde zum Pfarrer. Bei Bauer Strippel holten die Kinder Milch, bei "Unnerdoren" konnten sie geschlagene Sahne kaufen. Kühlschränke gab es nicht, gekühlt wurde im Keller. "Aber wenn wir mal Sahne holten für unsere große Familie - die kam auf den Tisch und war schon alle, da brauchte nichts mehr gekühlt werden".
Als der Krieg vorbei war, musste die Witwe Heßler mit ihren drei Kindern die Wohnung im Karlshof räumen, um Platz zu machen für einen neuen Erzieher. Die Familie zog in die Engelstraße zu dem älteren Ehepaar Pape ins Haus, wo die Kinder nicht auf dem Hof spielen durften. Deswegen spielten die Geschwister weiterhin jeden Tag mit den Kindern der anderen Erzieher im Karlshof. Abends wurden sie von der Mutter abgeholt oder sie mussten vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein. Bei Feierlichkeiten wurde die Familie des ehemaligen Erziehers Heinrich Heßler auch weiter eingeladen. Wenn die Karlshof-Jungen Sonntags ins Kino zu "Hühners" gingen, durften die Kinder alle mit. Es liefen Filme wie "Drei weiße Birken" und "Wenn der weiße Flieder wieder blüht". Weihnachten mit der Krippenausstellung und das Erntedankfest mit den geschmückten Wagen gehörte zu den Höhepunkten im Karlshof. Einmal durfte die damals 9-jährige Hannelore auch auf dem Erntedank-Wagen mitfahren, ein tolles Erlebnis damals, an das sie sich noch heute gut erinnern kann.