Wabern - Neue Heimat für Vertriebene - Die Familien Budji und Wenzler
Bis in das Jahr 1950 wurden etwa 12.5 Mio. Deutsche vertrieben, etwa 2.1 Mio. Deutsche fanden in den Jahren 1944-49 den Tod. Ein besonders grausames Kapitel der Vertreibung spielte sich in Südosteuropa im damaligen Jugoslawien ab. Im Jahre 1931 lebten ca. 500.000 Jugoslawiendeutsche als Nachkommen deutscher Kolonisten, die sich zwischen den Jahren 1730 und 1885 aufgrund der österreichischen Ansiedelungspolitik in den Donauebenen Ostmitteleuropas und Südosteuropas niedergelassen hatten. Sie sollten die aufgrund der Türkenkriege entvölkerten Landstriche wieder mit Leben füllen. Zusammen mit den Ungarndeutschen, den Banater und Sathmarer Schwaben werden die Jugoslawiendeutschen seit 1920 mit dem Sammelbegriff Donauschwaben zusammengefasst. Nach Umsiedlungen, Deportationen zur Zwangsarbeit in die UDSSR, Vertreibung und Vernichtung in Internierungslagern betrug die Anzahl der Donauschwaben in Jugoslawien im Jahr 1948 offiziell nur noch 55.000. Sie bilden heute nur noch eine unbedeutende Minderheit.
Eva Wenzler und Hans Budji wurden 1933 bzw. 1925 in der Süd-Batschka, und zwar Eva in Plavna (dt.: Plauen auch Plawing) und Hans, als 3. von insgesamt 4 Kindern, im Nachbarort Batsch geboren. Die Region Batschka, begrenzt im Osten durch den Fluss Theiß, im Süden und Westen durch die Donau, ist heute zwischen den Staaten Serbien und Ungarn aufgeteilt. Mit der Besetzung Jugoslawiens durch Hitler im Jahre 1941 wurde die südliche Batschka dem verbündeten Ungarn angegliedert. Hans Budji hätte nun eigentlich seinen Militärdienst bei den Ungarn antreten müssen, ging jedoch illegal über die Donau, die die Grenze zwischen deutschen und ungarischen Bereich der Batschka bildete und meldete sich bei den dortigen Behörden. Nach der militärischen Grundausbildung in Wien und in Frankreich geriet Hans Budji dort im November 1944 in amerikanische Gefangenschaft. Per Schiff erst nach England, anschließend nach New York gebracht, landetet er endlich im Bundesstaat Alabama, wo er, in einem großen Kriegsgefangenenlager interniert, erst Tarnnetze stricken, später unter schwierigen Bedingungen Baumwolle pflücken musste. Nach der Entlassung im Jahr 1945 ging es über den "großen Teich" zurück nach Le Havre und schließlich ins Entlassungslager nach Babenhausen (bei Hanau), wo Hans Budji zufällig den Vater von Eva, Konrad Wenzler, begegnete. Der eigene Vater, Janosch Budji, der aus dem ungarischen Szeged stammte, war schon im Jahre 1932 verstorben. Zusammen mit weiteren ca. 200 Personen wurden die beiden dem Bereich Fritzlar-Wabern zugeordnet, wo Hans Budji erst in einer Ziegelei in Fritzlar, dann in einer kleinen Landwirtschaft bei Familie Schneider in Wabern tätig war. Nach dem Jahr 1948 absolvierte Hans Budji eine Lehre zum Maurer beim Baugeschäft Schmidt in Wabern und wechselte später zum neu gegründeten Baugeschäft Homburg, ebenfalls in Wabern.
Bereits im Jahr 1942 wurde auf dem Gebiet Bosniens die AVNOJ (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) und das NKOJ (Nationalkomitee zur Befreiung Jugoslawiens) unter der Führung des späteren jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito gegründet. Diese entzogen der Jugoslawischen Exilregierung in London die Anerkennung und verboten König Peter II. die Rückkehr. In diversen Bestimmungen in den Jahren 1942 bis 1944 wurde außerdem den deutschen Bewohnern die Staatsbürgerschaft entzogen, ihr Vermögen aller Art eingezogen und alle Rechte abgesprochen. Evas Mutter Maria Wenzler wurde Ostern 1945 zusammen mit vielen anderen jungen Frauen zwischen 17 und 40 Jahren von Partisanen in die UDSSR zum Arbeitsdienst in das Donez-Gebiet verschleppt. Nach schwerer Krankheit gelangte sie später per Krankentransport nach Deutschland und über das Durchgangslager Braunschweig per Vermittlung des Roten Kreuzes zu ihrem Mann Konrad Wenzler nach Wabern. Die älteren Dorfbewohner und die Kinder, auch Eva Wenzler und ihre ältere Schwester Rosina Wenzler, wurden aus ihrem Dorf vertrieben und gelangten zuerst per Ochsenkarren in das benachbarte Bartsch. Dort wurden sie per Bahntransport in das ebenfalls in der Batschka gelegene Konzentrationslager nach Jarek gebracht. Dieses war das Auffanglager der Tito-Partisanen für die arbeitsunfähigen Deutschen der Süd-Batschka. Während die ältere Rosina zum Arbeitsdienst verschleppt wurde, verblieb die 12-jährige Eva dort zusammen mit drei älteren Verwandten ungefähr ein Jahr. Bis zur Auflösung des Lagers im April 1946 starben dort viele Tausende an Fleckfieber, Dystrophie, Ruhr und Erschöpfung. Auch Evas Verwandte überlebten das Lager nicht. Nach weiterer Internierung im Lager Kruschiwil gab es später ein Wiedersehen mit Rosina im Dorflager Gakova, wo Eva auch ihre alte Schulfreundin Kathi traf. Deren Mutter, die im Krieg einen deutschen Soldaten geheiratet hatte, nach Westfalen gezogen war und nun den Namen Kempf trug, versuchte nun Kathi aus dem Lager zu holen. Unter Lebensgefahr erklärte sie sich spontan bereit Eva und Rosina mitzunehmen. Eine abenteuerliche Flucht durch halb Europa begann. Erst über die Grenze nach Ungarn, dort mit Hilfe von Verwandten von Frau Kempf mit der Bahn bis zur österreichischen Grenze. Mangels geeigneter Papiere für Eva - für Rosina konnte Frau Kempf gefälschte Papiere kaufen, für mehr reichte jedoch das Geld nicht - wurde diese in einem Postsack versteckt unter Mithilfe des Postbusfahrers über die Grenze nach Österreich "geschmuggelt". Alle gelangten schließlich in das Durchgangslager Kobenzl in Mödling bei Wien. Dort traf man die Mutter von Hans, Katharina Budji, die auch Auskunft darüber geben konnte, dass die Eltern von Eva mittlerweile in Wabern beheimatet waren. Während Rosina im Lager verbleiben musste und erst später nach Wabern geholt wurde, kämpften sich die anderen durch die Wälder bis zur deutschen Grenze durch. Von dort aus ging es per Bahn bis nach Westfalen. Dort holte Konrad Wenzler seine Tochter ab. Im Jahre 1947 konnte Eva endlich wieder ihre Eltern in den Arm nehmen. Konrad, Maria und die Töchter Eva und Rosina Wenzler wohnten nun zusammen in der Engelstraße bei Familie Heinrich Wagner. Im Jahr 1948 wurde Tochter Erika, in 1954 Sohn Helmut geboren. Hans Budji war sesshaft in der Fritzlarer Straße bei Familie Friedrich Schneider. Die dortige Landwirtschaft bescherte ihm in Zeiten großen Mangels das eine oder andere "Extrastück" an Lebensmitteln. Nicht nur deshalb war er ein gern gesehener Gast bei Wenzlers in der Engelstraße. Zum 16. oder 17. Geburtstag - so genau wissen das Hans und Eva heute nicht mehr - schenkte er ihr die ersten Seidenstrümpfe. Evas Vater kommentierte dies wohl mit der Bemerkung, dass er das Kind in Ruhe lassen solle, schließlich hätte er noch eine ältere Tochter! Doch die zuerst fast geschwisterliche Beziehung zwischen Hans und Eva entwickelte sich mit der Zeit zur Liebe. Am Pferdemarkt in Fritzlar, so erinnern die beiden sich, gab es das erste Bussi, nach einem Tanz in der Gaststätte "Zur Krone" hatte es dann endgültig gefunkt. Am 22. August 1954 wurde Hochzeit gehalten.
Das Kalenderbild zeigt das Wohnhaus der Familie Wenzler in Plavna, aufgenommen in den sechziger Jahren, sowie Maria Wenzler mit Tochter Rosina, genannt Rosl (rechts) und Eva (links).