Kalenderblatt Januar 2007

Januar 2007

Aquarell von Ferdinand Justi: Anna Martha Hose, Wabern 1882

Der Marburger Sprachwissenschaftler und Maler Ferdinand Justi (1837 bis 1907) hat die Niederhessische Spitzbetzeltracht auf vier Aquarellen festgehalten. Drei Werke davon zeigen Einwohner aus Wabern. Nach einem Aufsatz von Ingrid Rittger, Haldorf, zeigten die beiden Gemälde Anna Martha Hose aus Wabern, gemalt nach Skizzen vom 16. Juli 1882. Vollendet wurde das Aquarell am 22. Februar 1883.

"Das Gesangbuch/die Bibel in der linken Hand der jungen Frau zeigt ein, dass sie in die Kirche gehen will. Sie hat also die Kirchenkleidung angelegt. Sie besteht aus einem dunkelbraunen Rock und einer Jacke, die wahrscheinlich aus einem Wollstoff hergestellt sind. Obwohl es Juli ist, muss sie zum Kirchgang das langärmlige Leinenhemd und die langärmlige Jacke tragen. Typisch für die Niederhessische Spitzbetzeltracht ist die Verzierung des Rockes mit zwei schwarzen Samtbändern oberhalb des Saumes und am Ärmel. Passend zum Braunton sind die Schürze und das Schultertuch in blaugrau gewählt. Die Schürze ist mit einer schwarzen Spitze verziert und lässt noch die Falten vom Zusammenlegen erkennen. Das galt damals als schön. Die Schürze reicht an den Seiten etwa bis zu den Hüftknochen und ist um Bund eingezogen. Wenn es sich die Trägerin leisten konnte, dann war sie aus Seide, ansonsten aus einem dünnen Wollstoff. Das Schultertuch besteht wahrscheinlich aus Wolle und durch entsprechende Weben erzeugte man das großflächige Karomuster. Das Tuch hat eine quadratische Form und ist über die Diagonale zum Dreieck zusammengelegt. Die große Ecke dieses Dreiecks liegt auf der Mitte des Rückens. Die beiden Seiten des Tuches werden straff über die Schultern gelegt, vor der Brust gekreuzt, auf der Taille vorbeigeführt und auf dem Rücken gebunden. Um diese Trageweise möglich zu machen, muss das Tuch mindestens eine Seitenlänge von ca. 110cm haben. Auf dem Kopf trügt die junge Frau die so genannte Spitzbetzel, die der Tracht den Namen gegeben hat, weil sie das einzige eindeutige Unterscheidungsmerkmal zu anderen Trachten war. Eine feste Unterhaube aus Leinenstoff, Schuh genannt, wurde mit schwarzem Seidentaft überspannt und ergab die spitze Form in der Mitte. Daran wurde hinten unten eine große Schleife, ebenfalls aus Seidentaft, angebracht. Die beiden Hälften dieser Schleife erkennt man rechts und links von der spitzen Haube. Mit Hilfe von zwei Kinnbändern wurde die Haube auf dem Kopf festgehalten. Die Schleife vorne wird aber nicht mehr gebunden, sondern es handelt sich um zwei Hälften, die mit Haken und Öse geschlossen wurden. Die weißen Seidenbänder haben in sich ein Webmuster. Es handelt sich wie so oft um rote Blumen mit grünen Blättern. Ein weiteres Webmuster ist Ton in Ton gehalten, wird durch die Art des Webens erzeugt (Damastweberei) und kann nur durch den verschiedenen Glanz der Fäden gesehen werden. Die relativ langen Kinnbänder lassen auf eine wohlhabende Frau schließen.

Die Rückenansicht gibt uns ergänzende Informationen. Deutlich erkennen wir nun die Lage des großen Dreiecks vom Umschlagtuch auf dem Rücken und dass dieses über die Hüften wieder zum Rücken geführt wird. Die Rückenpartie der Spitzbetzel ist deutlich erkennbar. Das Seidensatinband bildet im unteren Bereich der Haube eine Schleife, deren Bänder lange den Rücken herunterhängen. Auch dies ist wieder ein Zeichen von Wohlhabenheit. Der Betzelboden ist mit farbigem Seidengarn bestickt. Die Farbwahl des Stickgarns ist vom Alter abhängig. Da die Mädchen ab der Konfirmation diese Haube trugen, kann man davon ausgehen, dass sie entsprechend den Farbregeln aller anderen Trachtengebiete, Hauben trugen, die auch rote Stickerei aufwies. Je nach Alter folgte die Dominanz der grünen, später violetten und bei älteren Frauen der schwarzen (und weißen) Farbe. Die abgebildete Anna Martha Hose wurde mit großer Sicherheit um 13. Juli 1857 in Wabern geboren, war also 25 Jahre alt. Am 19. November 1882 heiratete sie Konrad Morsch aus Wabern. Als sie Modell saß, war sie also noch unverheiratet. Deshalb sollte sie eigentlich, entsprechend den Gewohnheiten in anderen Gebieten, eine Betzel tragen, die vor allem rot bestickt ist. Tatsächlich ist sie aber überwiegend in grün mit etwas violett gehalten. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Verlobung bereits stattgefunden hatte und man in Niederhessen schon zu dieser Zeit die rote Farbe ablegte, so wie es z.B. auch die Marburger taten. Ein sicherer Beweis fehlt hier".

Das Gemälde auf dem Titelblatt zeigt Bäuerinnen in der Waberner Kirche im Jahre 1882. Die Originale der Gemälde befinden sich in den Graphischen Sammlungen der Staatlichen Museen im Schloss Wilhelmshöhe in Kassel.

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