Kalenderblatt Dezember 2006

Dezember 2006

Die Glocken der evangelisch-reformierten Kirche von Wabern

Die Glocken der Waberner Kirche begleiten die Bürgerinnen und Bürger durch den Tag. Durch den Stundenschlag geben sie die Uhrzeit an; sie läuten täglich um 7.00, um 12.00 und um 18.00 Uhr, sonntags laden sie zum Gottesdienst ein und sie zeigen an, wenn im Dorf eine Trauerfeier stattfindet. Die Glocken rufen seit alters her zum Gebet, sie wurden aber auch geschlagen, wenn Gefahr im Verzug war, z.B. ein Brand ausgebrochen war. Die Älteren in der Gemeinde erinnern sich noch daran, dass die Arbeit auf dem Feld ruhte, wenn die Glocken lauteten und dass dann zumeist ein kurzes Gebet gesprochen wurde. Obwohl dieser Brauch wohl kaum noch geübt wird, bleibt es ein hohes Gut, dass uns das Geläut der Glocken in Wabern, den Tag heilsam unterbricht und uns daran erinnert, dass es Gott ist, der uns die Zeit und das Leben geschenkt hat.

Über das Alter der Glocken der Wabener Kirche gibt es in der einschlägigen Literatur die unterschiedlichsten Angaben. Die älteste Erwähnung ist 1470 und steht in der Pfarrer-Baum-Chronik. Der Lehrer Gerhard Greiner, der Verfasser der ersten Waberner Chronik aus dem Jahr 1937, gibt für beide Glocken das Jahr 1490 an. G. Greiner äußert weiter die Vermutung, dass schon in dieser Zeit eine Kirche im Ort gestanden haben muss, wenn nicht die andere Möglichkeit angenommen wird, dass die Glocken von einem anderen Platz übernommen sein könnten. Ganz vorsichtig ist dagegen die Formulierung in der Kirchen-Chronik von Kathrin Ellwardt: Die Glocken sind im 15. Jahrhundert gegossen worden. Vom Ende des 15. Jahrhunderts schreibt auch C. Alhard von Drach, der Verfasser der "Bau- und Kunstdenkmaler im Reg.-Bz. Cassel". Die jüngste Datierung erscheint in "Beiträge zur Glockenkunde des Hessenlandes" von F. Hoffmann und B. Zölffel mit der Angabe: Von vor 1530.

Die erste Glocke wird in der Literatur wie folgt beschrieben: Sie hat einen Durchmesser von 70cm und eine Höhe von 56cm. Am Hals zwischen zwei Stricklinien steht in gotischen Minuskeln als Engelsgruß folgende Inschrift: "+ ave + maria + gracia + plena + dominus + tecum +". Sinngemäß bedeutet das etwa: "Sei gegrüßt, Maria, du Gnadenreiche. Der Herr sei mit dir!" Auf dem Mantel sind zwei etwa 7cm hohe Reliefs aufgegossen. Unter dem Wort "dominus" ist die Darstellung eines Bischofs mit Mitra, Pallium und Krummstab zu erkennen, die rechte Hand segnend erhoben. Gegenüber dem Wort "ave" findet sich ein Bild einer thronenden Gottesmutter. Bei der Darstellung des Bischofs wird von C. Alhard von Drach Bonifatius vermutet.

Die zweite Glocke hat einen Durchmesser von 62cm und eine Höhe von 50cm. Sie ist ohne Inschrift und hat am Hals sechs kleine Ringe, die vielleicht Brakteatenabdrucke darstellen: das sind kleine nur einseitig geprägte Münzen. Da diese Glocke von gleicher Form wie die erste ist, geht man davon aus, dass beide der gleichen Meisterhand entstammen. Die zweite Glocke ist übrigens im Guss verunglückt, da einige Bügel der Krone unvollständig sind und an der Flanke eine Partie Glockenspeise fehlt, wofür jedoch, gleichsam als Ausgleich, neben der Lücke eine entsprechende Menge Glockenspeise zuviel vorhanden ist.

Die schlanke Form und die bescheidenen Abmessungen der zweiten Glocke sind Umstände, die darauf schließen lassen, dass diese Glocke wesentlich älter sein muss als die angegebenen Jahrhunderte. Auch der gänzliche Mangel von Schrift, von einer Jahreszahl und der ganz bescheidene Zierrat lassen dies annehmen. Deshalb wird in der Literatur vermutet, dass diese Glocke einer noch früheren Zeit angehört, in der die Herstellung größerer Glocken und ein Versehen mit Schrift, Jahreszahl und Zierrat noch schwierig und wenig bekannt war. Dies wirft dann jedoch laut Gerhard Greiner die Frage auf, in welcher Kirche diese Glocke gehangen hat. Man kommt dann nicht umhin, an das im ausgehenden Mittelalter untergegangene Dorf Niederzennern zu denken. Nach den Notizen in der Pfarrer-Baum-Chronik ist nicht auszuschließen, dass eine erste Waberner Kirche in Niederzennern gestanden hat.

Über die Meister und die Gießhütten, welche die Glocken von Wabern erschaffen haben, gibt es in den Quellen keinerlei Hinweise. Am wahrscheinlichsten ist aber die Gießhütte Hans Kortrog in Homberg vor dem Obertor. Sie war von 1495 bis 1532 in Betrieb und in ihr wurden 57 Glocken für das ganze Hessenland gegossen, unter anderem die von Lendorf (1511) und beide Glocken von Harle (1520 bzw. 1521). Weitere Hinweise sind, dass die Glocken von Meister Kortrog zumeist der Jungfrau Maria geweiht wurden, und dieses wurde in lateinischer Schrift zum Ausdruck gebracht. Weiter kehrt als Pilger- oder Wallfahrtszeichen der Bischof mit Mitra, Pallium und Krummstab als Motiv immer wieder. Diese Abzeichen waren so bekannt, dass sie von Meister Kortrog als Schmuck auf seinen Glocken immer wieder verwandt wurden.

Bei Pfarrer Groß finden wir in der Chronik "1175 Jahre Wabern" noch den interessanten Hinweis, dass eine der beiden Kirchenglocken 1942 abgeliefert werden musste und sich bis Kriegsende 1945 in Hamburg-Altona befand. Die zurückgekommene Glocke wurde im Gottesdienst an Silvester 1947 wieder ihrer Bestimmung übergeben. Seit diesem Zeitpunkt wird in Wabern ein Gottesdienst zum Jahresabschluss gehalten, der vorher nicht üblich war.

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