Das alte Pfarrhaus am Kirchplatz
Das alte Pfarrhaus wurde nach Chronikaufzeichnungen im Jahr 1674 erbaut. Ende des 19. Jahrhunderts war das Pfarrhaus vom Zahn der Zeit so baufällig geworden, dass 1884 und 1905 große Ausbesserungen notwendig wurden. Als im Jahr 1883 der alte Putz von den Außenwänden entfernt wurde, kamen die Haupt- und Querbalken des Hauses mit schönen Holzschnitzereien zum Vorschein.
Bei der 1905 erfolgten Renovierung wurde das Pfarrhaus von dem aus Wetter hierher gezogenen Maler Johannes Scherer im altdeutschen Geschmack neu angestrichen. Im Jahr 1912 kam der technische Fortschritt ins Pfarrhaus, in dem die elektrische Beleuchtung installiert wurde. Zum allgemeinen Zustand des Pfarrhauses hat Pfarrer Baum in die Chronik notiert: "Doch wurde nach einigen Jahren bemerkt, dass die in 1905 erfolgte Renovierung des Pfarrhauses kaum zur Erhaltung des Hauses beigetragen hat. Die Presbyterien [die Kirchenvorstände] wie auch die Bürgermeister von Wabern und Uttershausen mussten sich davon überzeugen, dass nun doch ein Neubau nicht mehr zu umgehen war. So erfolgte dann in 1914 der Abriss des alten Pfarrhauses, sodann wurde der Grundstein für den Neubau gelegt." Im Pfarrhausneubau, der 1917 beendet wurde, hat man die noch gut erhaltenen, mit Schnitzereien (Tauband) versehenen Eichenbalken des alten Pfarrhauses wieder verwandt. Nach der Kirchenchronik hat der Neubau 34474 Mark gekostet.
Nicht nur die Kirche, auch das Pfarrhaus steht mitten im Dorf. Seit der Reformation kommt dem Pfarrhaus eine besondere Bedeutung zu: Hier wohnt der Pfarrer mit seiner Familie (neuerdings auch die Pfarrerin). Martin Luther hat sich gegen den Mönchsstand und die Ehelosigkeit von Priestern gewandt, weil er eine abgeschiedene Lebensweise, die eine besondere Christlichkeit beanspruchte, ablehnte. Der Pfarrer hat das Amt, das Evangelium zu predigen, aber sein Beruf gilt vor Gott nicht mehr als jeder andere Beruf. Der Pfarrer soll das Leben der Gemeindeglieder teilen: Ehe, Kinder, Haus, Garten, früher auch Landwirtschaft. All dies verbindet den evangelischen Pfarrer und das ganze Pfarrhaus mit den Menschen im Ort. Aber der Pfarrer steht doch in besonderer Verantwortung: Was er sonntags predigt, muss er selbst und seine ganze Familie als Vorbild leben. Durch die Amtsgeschäfte ist das Pfarrhaus ein öffentliches und offenes Haus. Und so wird im Ort darauf geschaut, was im Pfarrhaus geschieht, wie glaubwürdig Christsein gelebt wird. Es galt: Wer als Ehegatte und Vater seinem eigenen Haus nicht für einen christlichen Lebenswandel sorgen kann, der muss sich nicht wundern, wenn die Gemeinde seinem Predigt misstraut. Das Pfarrhaus war traditionell ein Ort, in dem besonderer Wert auf Bildung, Kunst und musische Erziehung gelegt wurde. Das Pfarrhaus ist hierin immer ein Ort gewesen, von dem wichtige kulturelle Anstöße ausgingen.
Der berühmteste Sohn des Pfarrhauses ist Wilhelm Schäfer, genannt Dilich (1571/72-1650), Sohn des ersten reformatorischen Pfarrers, Heinrich Schäfer. Dilich war Historiker, Geometer, Architekt, Kupferstecher und vor allem ein berühmter Kartograph. Die besondere Bedeutung des Pfarrhauses für einen Ort zeigt sich auch in Wabern, da die Gemeinde für ihre Pfarrer ein stattliches Haus erbaut hat.
Das Leben im evangelischen Pfarrhaus ist immer als Last und Chance, als Freiheit und Zwang erlebt worden. Die Stellung des Pfarrhauses hat sich im Lauf der Zeit verändert. So wie die Menschen im Ort traditionelle Bindungen aufgelöst haben und vielfältige familiäre Lebensformen vertreten und leben, so steht auch das Pfarrhaus nicht mehr allein für das traditionelle Famillenmodell. In den letzten Jahrzehnten ist zwar ein gewisser Bedeutungsverlust des Pfarrhauses zu beobachten - nicht mehr jeder im Ort weiß, wo es steht. Dennoch ist das Pfarrhaus kein reines Privathaus geworden. Der öffentliche Charakter hat sich erhalten und es werden immer noch hohe Erwartungen an ein glaubwürdiges Leben in ihm gestellt.