Reisebericht: Auf den Spuren der Norddeutschen Backsteingotik

Der Bericht des Reiseleiters

Gruppenbild

Spätestens nachdem ich erwähnt hatte, dass es am Ende der Fahrt – was bei meinen Fahrten eigentlich immer der Fall ist – ein Quiz mit attraktivem Hauptpreis geben wird, war die Aufmerksamkeit der 33 Mitreisenden so gesteigert, dass ich mich wunderte, wieviel Interesse so ein vordergründig nüchtern daherkommendes Thema wie "Norddeutsche Banksteingotik" wecken kann. Schon ein Jahr vorher, nach der Bitte unseres Ehrenvorsitzenden Manfred Uchtmann an mich, eine Fahrt mit einem solchen Thema zu organisieren und durchzuführen, hatte ich Zweifel, ob man damit einen Bus voll bekommen könnte. Ich habe mich eines Besseren belehren lassen und irgendwann habe ich so richtig Lust an der Backsteingotik bekommen. Daraus entstanden ist eine viertägige Fahrt nach Lübeck, Bad Doberan, Wismar, Stralsund, Greifswald und schließlich Lüneburg, 1500 km gespickt mit zum Teil unfassbar großen und prächtigen, mittelalterlichen Bauten, welche uns allen noch lange in Erinnerung bleiben werden.

1. Tag Wabern – Lübeck

Ich nehme es vorweg: Der von Peters Reisedienst angemietete Bus hätte eine Top-Bewertung bekommen, wären nicht am Vortag Mitglieder einer Schülergruppe, die er von Sylt nach Nordhessen zurückgeholt hatte auf die traurige Idee gekommen, die Toilettentür aus den Angeln zu drücken. Das ließ sich leider so kurzfristig nicht reparieren. Auch nicht auf der Fahrt. Immerhin trainierte das die Blasen, obwohl in der Regel passend Pausen gemacht wurden. Den Fahrer möchte ich lobend erwähnen, das Zusammenspiel mit mir funktionierte hervorragend. So etwas ist ganz wichtig für den reibungslosen Ablauf einer Fahrt. Nicht alle Busfahrer haben so wenig Macken. Dass es heutzutage schier unmöglich ist in Deutschland längere Fahrtstrecken, sei es auf der Straße oder per Bahn, zeitlich exakt zu planen zeigte sich auch gleich wieder auf der langen Anfahrt nach Lübeck: Zwei Stunden länger als es sein müsste. A7 sei Dank und, na ja, halt an Hamburg vorbei. In guter Voraussicht hatte ich das eingeplant und die Stadtführung erst für 16.30 Uhr gebucht. Vorher ein unproblematisches Check-in im Hotel Park Inn by Radisson, welches sich von seiner Lage und seiner Ausstattung gleich mal als Volltreffer erwies. So etwas hebt die Stimmung der "Truppe". An dieser Stelle geht mein Dank auch an das Reisebüro Augustus Tours in Dresden, Frau Caroline Nitschke, welche mich bei den diversen Buchungen hervorragend unterstützt und niemals die Nerven verloren hat, wenn ich wieder einmal mit einem Änderungswunsch daherkam. Trotz verspäteter Anreise blieb den Teilnehmern auch noch vor der Stadtführung Zeit, von mir mit Stadtplänen ausgestattet (tatsächlich komme ich mit den schönen analogen Plänen auch noch besser zurecht als mit Navi am Smartphone) und einigen Tipps des Reiseleiters die Lübecker Altstadt zu erkunden. Tatsächlich ist es mit der Buchung von Stadtführern und -führerinnen meistens ein "Kauf im Sack". Man weiß nie, was man bekommt. Und das jeweils gleich zweifach, denn aufgrund der Gruppengröße mussten bei allen Führungen der Fahrt zwei Gruppen gebildet werden. Stephanie Ullrich – und ich werde auch nur einen Namen der vielen Stadtführer – und führerinnen nennen, die meine Gruppe führte, war jedenfalls von der Kategorie 1A, nämlich kompetent, sympathisch und engagiert. Außerdem brachte sie ein Audiosystem mit, welches so eine Stadtführung bei all den umgebenden Lärm wirklich entspannter macht. Sollte überall Standard sein! Von der 2. Gruppe (oder nannten wir sie die Gruppe 1?), zu deren "Anführer" ich unseren Reiner Kumaus erkoren hatte, konnte leider derart positives nicht berichtet werden. Sehenswürdigkeiten gab es reichlich in Lübeck zu bestaunen, welches wie Wismar und Stralsund zum UNESCO-Welterbe zählt und die auch Stadt der sieben Türme genannt wird: Diese sieben Türme entsprechen den mächtigen mit Backsteinen errichteten Türmen der Marienkirche, der Jacobikirche, der Petrikirche (mit Aussichtsplattform, welche tatsächlich trotz defektem Aufzug einige erklommen), der Aegidienkirche sowie des Doms. Das Holstentor und das wirklich beeindruckende Rathaus sind weitere Highlights.

Die Königin der Hanse, wie Lübeck auch genannte wird, besitzt mehr als tausend historische Gebäude in der Altstadt, die auf einer Insel in der Trave liegt. Die Straßen sind von giebelständigen Kaufmannshäusern, Zünften und Lagerhäusern gesäumt, alles Zeichen des Handels, der im Mittelalter Prestige und Macht brachte. [Wikipedia]

Mein Highlight: Die Marienkirche, welche sich auf dem höchsten Punkt der Lübecker Altstadtinsel befindet. Sie wird auch als die "Mutter der Backsteingotik" bezeichnet und besitzt mit einer Mittelschiff-Höhe von 38,5m das höchste Backsteingewölbe der Welt.

Der anstrengende Tag klang beim gemeinsamen Abendessen im "Kartoffelkeller" aus, welcher sich als gruppentauglich herausstellte und nach dessen Besuch mir keine Kritik zu Ohren kam.

2. Tag Über Wismar und Bad Doberan nach Stralsund

Nach einem sehr guten Frühstück im Hotel ging es mit dem Bus, bei zunehmend warmen Wetter, in das nur ca. 60 km entfernte Wismar. Dort teilten wir uns bereits sehr routiniert in zwei Gruppen auf und folgten unseren Stadtführern.

Die Ostseestadt Wismar war Mitglied der Hanse und blühte im Spätmittelalter auf. Noch heute sind viele Gebäude aus dieser Zeit erhalten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg kam die Stadt im Jahr 1648 unter die bis 1803 (de jure 1903) dauernde schwedische Herrschaft, woran das jährliche Schwedenfest erinnert. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie ab Juni 1940 durch mehrere Luftangriffe getroffen, worunter vor allem das Gotische Viertel mit den Hauptkirchen St. Marien und St. Georgen sowie der Alten Schule litt. Viel ist inzwischen wieder aufgebaut und denkmalgerecht saniert worden. [Wikipedia]

Mein Highlight: Die Marienkirche, welche im 2. Weltkrieg schwer getroffen wurde und in der DDR-Zeit unter Bürgerprotest das Kirchenschiff gesprengt und zu Baumaterial verarbeitet wurde. In jüngerer Zeit wurde der dessen Grundriss zur Veranschaulichung der ursprünglichen Maße wieder niedrig aufgemauert. Trotzdem sowohl der Stadtführer als auch die Stadtführerin nur ungern ihre Vorträge beendeten (zwei und eine Viertelstunde waren vergangen) blieb dann doch noch genug Zeit für alle sich die Altstadt näher anzuschauen, ehe es zum nur ca. 45 Autominuten entfernten Doberaner Münster weiterging. Dieses zählt zu den wichtigsten hochgotischen Backsteinbauten im Ostseeraum. Ab 10 Uhr konnten wir im Rahmen einer Führung die noch fast vollständig erhaltene mittelalterliche Ausstattung mit Konversengestühl, Hochaltar, monumentalen Lettner-Kreuzaltar u.v.m bestaunen. Es war bis in das 16. Jahrhundert Kirche des Zisterzienserklosters und ist heute die Kirche der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Doberan. Wie wir vom routinierten Gästeführer u.a. erfahren durften, stammt die etwas zu intensiv geratene Wandfarbe und das eigenartige Grün der Verzierungen am Triumphkreuz von nicht so gelungen Restaurierungen in der DDR-Zeit. Man nahm halt an Materialen, hier an Farbe, was verfügbar war! Aber sonst hätte doch die DDR allgemein für den Bestand der Kirchen im ganzen Land gesorgt. Der Verfall der vielen Kirchen fand dann erst nach der Wiedervereinigung statt, so der Vortragende. Gut, manchmal ist es wohl besser nicht in eine Diskussion einzusteigen. Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter zur letzten Etappe des Tages nach Stralsund, welches wir nach 18 Uhr erreichten und uns gleich für das im Hotel vorgesehene Abendessen frisch machen durften. Das Maakt-Hotel liegt sehr zentral, modern hergerichtet in alten Gebäuden und sollte ebenfalls gefallen. Nach dem Abendessen machten sich auch schon einige los, um die Stadt zu erkunden.

3. Tag Stralsund und Greifswald

Die Hansestadt Stralsund (amtlich seit 1990) mit Stadtrecht aus dem Jahre 1234 ist die älteste Stadt Pommerns. Als Gründungsmitglied der Hanse kam Stralsund durch internationalen Handel zu beachtlichem Wohlstand. Die Altstadt mit ihren zahlreichen Baudenkmalen und besonders wertvollen Zeugnissen der Backsteingotik gehört seit 2002 mit dem Titel Altstädte von Stralsund und Wismar zum UNESCO-Weltkulturerbe. Stralsund ist als Erholungsort und bedeutendes touristisches Zentrum der südlichen Ostseeregion zudem bekannt für das Meeresmuseum, das Ozeaneum Stralsund, das Stralsund Museum und für Veranstaltungen wie die jährlichen Wallensteintage. [Wikipedia]

Punkt 10 Uhr starteten die Führungen durch die Altstadt und zum Hafen. Immerhin nach Lübeck und Wismar und Bad Doberan schon die vierte Stadtführung und noch eine in Greifswald sollte folgen. Insgesamt also ca. 10 Stunden Stadtführungen – und alle haben durchgehalten! Nach einstündiger Zeit zur freien Verfügung wartete der Bus bereits auf uns zur Fahrt nach Greifswald. Dort nahmen wir unsere Stadtführerin an Bord und fuhren als erstes zum Kloster Eldena, besser gesagt zu dem, was davon noch übrig ist. Immerhin geht die Gründung der Stadt auf dieses Kloster zurück. Überregionale Bekanntheit erlangten die Klosterruinen durch den Maler Caspar David Friedrich, einem Sohn der Stadt. Ich muss sagen, auch bei mir hat dieser Ort einen nachhaltigen "romantischen" Eindruck hinterlassen. Danach ging es zurück in die Altstadt, in der es ziemlich rege herging, hatten wir uns doch das Wochenende des Mecklenburg-Vorpommern-Tages (so etwas wie unser Hessentag) ausgesucht. Die Stadt hat bei ca. 60.000 Einwohnern, ca. 10.000 Studenten zu bieten. "Unsere Stadt ist jung und dynamisch", sprach die Fremdenführerin. "Und wenn in den Ferien die Studenten weg sind, dann nur mehr dynamisch!" Aha!

Die Stadt umfasst Baustile nahezu aller Epochen von der mittelalterlichen Backsteingotik bis zu modernen Architekturformen. Insbesondere die älteren Bauwerke der Stadt sind geprägt vom in Norddeutschland und dem Ostseeraum üblichen Stil, den man auch in anderen Hansestädten wie Lübeck oder Wismar wiederfindet. Aber auch die Architektur des Klassizismus und der beginnenden Gründerzeit haben in Greifswald ihre Spuren hinterlassen. In der Zeit der DDR wurden große Teile der nördlichen Altstadt abgerissen und Wohnungen in Plattenbauweise dort errichtet. Seit 1990 sind große Anstrengungen zur Rettung und Wiederherstellung historisch gewachsener Architektur unternommen worden. [Wikipedia]

Mein Highlight: Das Ostfenster des Greifswalder Doms. Der international bekannte isländisch-dänische Künstler Ólafur Elíasson hat die Ostfenster im Greifswalder Dom neugestaltet. Für seinen Entwurf der Domfenster habe sich Elíasson intensiv mit dem Werk Caspar David Friedrichs auseinandergesetzt. Inspiriert von den Lichtspektren des romantischen Malers, insbesondere von seinem Bild "Huttens Grab", seien die Farben Rot, Gelb und Blau bestimmend für die Fenster gewesen. Die Glasfensterfront ist zusammengesetzt aus 3.383 einzelnen, mundgeblasenen Scheiben in 65 Farbtönen.

Bei mittlerweile sehr warmem Wetter ging es zurück nach Stralsund, wo wir im Hansakeller zum Abendessen erwartet wurden. Dieses Lokal hat sich dann allerdings nicht gruppentauglich gezeigt. Was nutzt ein gutes Essen, wenn man eine dreiviertel Stunde auf die Getränkebestellung warten muss. Es kann nicht alles klappen, tröstete sich da der etwas genervte Reiseleiter. Ich weiß nicht, wie die meisten anderen den zweiten Sommerabend in Stralsund verbracht haben, aber der Reiseleiter hatte sein schattiges Plätzchen mit ausreichend Getränken am Hafen im Angesicht der Gorch Fock gefunden. Übrigens, die Gorch Fock I, welche am 3.5.1933 auf der Hamburger Werft Bloom und Voss vom Stapel lief und nicht die Gorch Fock, Baujahr 1958, welche für sage und schreibe 135 Millionen Euro zur Marineausbildung generalsaniert wurde.

4. Tag Über Lüneburg zurück nach Wabern

Es sollte ein langer und sehr heißer Tag werden. 33 Grad erwarteten uns in Lüneburg nach ca. 4,5 Stunden Fahrt, weitgehend über Bundesstraßen, da die Autobahn bei Hamburg wieder einmal gesperrt war und umfahren werden musste. Das in Lüneburg an diesem Sonntag Stadtfest war, war mir bekannt. Stadtführer deshalb zu bekommen quasi unmöglich. Auch weit im Voraus. Aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin das Gefühl, dass die Gruppe keine weitere Führung brauchte. Ich übrigens auch nicht. So hatte ich sie wieder mit Stadtplan und guten Tipps auf die 2,5 Stunden freie Zeit geschickt. Ich habe auf meinem Rundgang, ja, ich bin tatsächlich noch einmal fast um die ganze Altstadt gelaufen und sogar den bekannten Wasserturm mit herrlicher Aussicht über die Stadt bestiegen. Gut, ich gebe zu, ich bin mit dem Lift hochgefahren. Trotzdem: Mein Highlight!

Lüneburg gehört zu den wenigen Städten Norddeutschlands, die ihren historischen Kern unzerstört durch den Zweiten Weltkrieg retten konnten. Allerdings haben die Vernachlässigungen der Bausubstanz bis in die 1960er Jahre hinein und die Schäden im Senkungsgebiet zu Lücken im historischen Stadtbild geführt. Zusätzlich sorgten in den 1950er und 1960er Jahren der Abriss maroder Gebäude und der Bau von Kaufhäusern mit (damals) moderner Prägung für Brüche in der Optik so mancher Straßenzüge. Seit Anfang der 1970er Jahre wird Lüneburg aber sorgsam und liebevoll restauriert.[Wikipedia]

Wohlbehalten und durchgeschwitzt am Bus zurück, konnte die letzte Etappe dieser Fahrt angetreten werden. Nun konnte ich endlich das Wissen meiner Gruppe im Quiz abfragen. Nun, wie ich schon im Bus anmerkte: Die Versetzung des einen oder anderen war jedenfalls stark gefährdet. Nach Stichfrage aber konnte ein eindeutiges Siegerpaar ermittelt werden, welches aufgrund der Datenschutzverordnung hier aber nicht genannt werden soll. Der wertvolle Preis würde dann vielleicht auch Begehrlichkeiten wecken: Ein Buch über Backsteingotik! Und spätestens an dieser Stelle merke ich wie schwierig es mittlerweile fällt ohne Emojis zu schreiben!

Nach den üblichen Staus und stockenden Verkehr auf der A7 kamen wir endlich gegen 20 Uhr in Wabern gut behalten zurück.

Dies ist der persönliche Bericht des Reiseleiters. Und wer das eine oder andere anders in Erinnerung hat, oder anderer Meinung ist: Das dürft Ihr!!
Roland Schippany




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