Kalenderblatt September 2019

September 2018

Wohnhaus Ochs / Wiegand / Kumaus (Schlösschen), Wolfhager Straße 8

Zwischen Wolfhager Straße (früher Wimmer) und Kirchplatz liegt ein imposantes Wohngebäude, das an ein Schloss erinnert. Auf der Katasterkarte von 1737 bis 1843 ist als Eigentümer des Grundstücks Johann Hermann Döring (*1666 in Zennern +27.04.1739 in Wabern) vermerkt. Aus der Homberger Amtsrechnung geht hervor, dass er im Jahre 1710 einen Gulden sechs alb (1) *Zuzugsgeld" für den Umzug von Zennern nach Wabern zahlte. Er hatte am 22.10.1709 Anna Martha Harle (*12.08.1688 +09.01.1748) geheiratet. Vermutlich stammte der Besitz von seinen Schwiegereltern Joes Harle und Margarete, geborene Mardorf. Das Ehepaar Döring hatte 5 Kinder. Der Stammhalter Johann Georg (*1714) dessen Sterbedaten in den Kirchenbüchern nicht ausgewiesen sind, hatte mit seiner Ehefrau Elisabetha (*28.11.1712 +23.01.1770) 6 Kinder. Tochter Anna Martha(*1742 +1778) heiratete 1767 den Dragoner und Heuwieger Ehrenreich Claus (*07.02.1730 +10.12.1782). Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. Der Zweitgeborene Johann Heinrich (*1768 +1825), der herrschaftlicher Heuwieger und Ackermann, heiratete am 22.08.1790 Martha Elisabetha Gerstung (*17.02.1749 +05.06.1842). Johann Heinrich hat die Geburt von 8 Kindern registrieren lassen. Die Tochter Anna Catharina (*1793 +1847) heiratete am 01.03.1816 den Ackermann Johann Georg Strippel (*1793 +1833). Im Heiratseintrag ist als Anschrift das Haus Nummer 63 "am Ende des Dorfes, auf dem Graben". Bei dem "Graben" handelt es sich um den ehemaligen Mühlengraben, der entlang des heutigen Wimmers führte. Anna Catharina und Johann Georg Strippel wurden 7 Kinder geschenkt. Der Zweitgeborene, Johann Conrad Strippel, vom Beruf Küfermeister und später Bahnwärter, hatte am 05.06.1843 mit Anne Martha Otto (*1817 +1886) die Ehe geschlossen. Aus dieser Ehe gingen neun Kinder hervor, von denen nur wenige das Erwachsenalter erreichten. Tochter Katharina Elisabeth, die Zweitgeborene, ging am 04.02.1872 mit dem aus Verna stammenden Maurer Heinrich Ochs (*1847) die Ehe ein. Aus dieser Verbindung stammen die Kinder Konrad Karl (*1872 +1915) und Christian (*1874 +1880). In die Zeit der Ehe fällt auch der Verkauf der ehemaligen Scheune an den Schuhmacher Brencher, der das Anwesen zu einem Wohnhaus umbaute und 1937 an den Landwirt Otto Most veräußerte.

Durch den frühen Tod von Katharina Elisabeth am 02.01.1876, heiratete Heinrich Ochs in zweiter Ehe am 21.05.1876 Maria Österling (*12.03.1847) die Tochter des Straßenwärters Hermann Osterling und seiner Frau Maria, geb. Hansmann. Sie hatten die Kinder Johannes (*1877), Heinrich (*1878) und Georg, die Zwillinge Ludwig und August (*1884) und die Letztgeborene Anna Katharina (*1886). Ihr Sohn Heinrich (*22.12.1878 +18.02.1964) erlernte das Handwerk des Bildhauers (Steinmelz) und heiratete als Bildhauermeister am 06.07.1906 in Frankfurt die Tochter eines dortigen Lederfabrikanten, Anna Katharina Philippi (*14.06.1883 +16.05.1956 in Frankfurt). Heinrich, der sich am 15.06.1925 von seiner Frau scheiden ließ, verstarb in Nürnberg. Während ihrer Ehe hatte das Ehepaar das Wohnhaus Nr. 63, das aus Fahrwerk aus dem 18. Jahrhundert bestand, umgebaut. Die Außenwände waren durch massives Mauerwerk ersetzt und ein Treppenbereich mit Türmchen sowie der nördlich Vortragende Erker angebaut. Zur südlichen Gartenseite entstand ein Holzbalkon mit offener Veranda. Er wurde 1940 abgerissen und durch einen massiven Anbau ersetzt.

Frau Anna Brencher, geborene Schefer (*1897 +2000), die im Wimmer aufwuchs, erinnerte sich noch genau an das alte Fahrwerkhaus, den Umbau und an die Familie Ochs. So sagte sie über Anna Katharina "Sie war keine Schönheit, aber sehr nett und sie hatte das Geld" und "sie fühlte sich nicht wohl in Wabern".

Bereits 1910 fand eine Zwangsversteigerung des Besitzes statt. Im Jahre 1913 wurde noch einmal im Fritzlarer Anzeiger auf eine Versteigerung des auf Anna Katharina Ochs lautenden Grundbesitzes hingewiesen, die im Hotel "König von Preußen" in der Bahnhofstraße stattfand. Höchstbietender war wohl ein Robert Ludolph aus Kassel, Bruder des Kasseler Zigarrenfabrikanten Paul Ludolph, der jedoch das Anwesen im Jahre 1926 an die Familie Wiegand veräußerte, da er New York zu seinem neuen Wohnsilz ausgewählt hatte.

Der neue Besitzer Heinrich Wiegand war Schuhmacher und Prediger bei der Landeskirchlichen Gemeinschaft. Er erwarb Areal laut Darlehensvertrag für 8.000 Reichsmark. Die Abzahlung erfolgte schleppend, da sich Wiegand als Prediger meist im Waldecker Land aufhielt und dort in Naturalien bezahlt wurde. So blieb noch eine Restschuld von 3000 Goldmark, die an die frühere Hausdame der Familie Ludolph, Frau Minna Hermann aus Bad Wildungen gezahlt werden sollte. Ob es zu dem Zahlungsausgleich kam ist nicht bekannt. Frau Herrmann starb im Jahre 1936.

Die neuen Eigentümer, Heinrich Wiegand (*07.10.1877 +05.12.1956) und seine Ehefrau Auguste, geborene Schott (*18.05.1871 +22.08.1931) bewohnten mit ihren vier Töchtern das Haus Nr. 63. Nach dem Tod des Ehepaares lebten nur noch die beiden ledigen Töchter Maria (*22.08.1911 +1970) und Anna (*09.04.1909 +1996), die "Villatanten", in ihrem verwunschenen "Schlösschen", das im Volksmund die "Mäusevilla" genannt wurde. Beide Schwestern streiften gern durch den verwilderten Garten, hörten das Gezwitscher der vielen Vögel, die ungestört im Garten verweilen konnten und waren ganz fasziniert von der wochenlangen Trockenzeit ihrer im Garten aufgehängten Wäsche.

Nach dem Tod von Maria sah man ihre Schwester meistens ganz in weiß gekleidet, ihr Fahrrad schiebend, im Dorf. Bis zum Jahr 1994 lebte sie allein im Haus, in einem Zimmer, da alle anderen Räume unbewohnbar geworden waren. Ein Sturz mit gesundheitlichen Folgen im ehemaligen Okay-Markt in der Landgrafenstraße zwang sie, zu ihrer Nichte nach Dienstädt (Thüringen) zu ziehen, wo sie auch verstarb.

Im Jahre 1995 wurde das Grundstück von Ricarda und Rainer Kumaus erworben und umfangreich saniert. Weiterhin wurde im Süden ein Anbau errichtet und die Westseite neu aufgebaut. Seit 1999 lebt das Ehepaar mit ihren drei Kindern im Schlösschen. Das Schlösschen hatte auch Mieter. Während des I. Weltkrieges wohnte eine Familie Adolf Klemens im Haus. Nach dem II. Weltkrieg fand dort die Familie Sliwka ein Zuhause. Außerdem hatte in dieser Zeit der Textilhändler Mansfeld seinen Laden im Wohnhaus. Heute erinnern in jedem Frühjahr die zahlreichen Schneeglöckchen an Anne Wiegand, die die "weißen Blumen" so liebte.

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