Kalenderblatt Februar 2001

Februar 2001

Haus Rothfuchs, Bahnhofstraße 52

"Mit dem heutigen Tag habe ich mich in Wabern als pract. Arzt niedergelassen. Dr. med. Em. Rothfuchs"

Mit dieser Anzeige in der örtlichen Tageszeitung vom 31. Dezember 1892 kündigte der Sanitätsrat Dr. Emil Rothfuchs die Eröffnung seiner Arztpraxis im Haus Bahnhofstraße 52 in Wabern an. Dies war zugleich der Beginn einer Nutzung des Gebäudes als Arzthaus, die sich bis zum heutigen Tag fortgesetzt hat.

Das Fachwerkhaus soll zuvor in Gudensberg gestanden haben. Es war zu dieser Zeit durchaus üblich, dass Häuser zum Abbruch gekauft und anderenorts neu errichtet wurden. Über den Erbauer selbst liegen keine Informationen vor. Umso interessanter lesen sich die Lebenserinnerungen der jüngsten Tochter von Emil Rothfuchs. Else Rothacker, geborene Rothfuchs, schildert anschaulich das Leben im Arzthaus zu Anfang des Jahrhunderts.

"Mein Vater, ein Landarzt, der acht Dörfer zu versorgen hatte, war schon ein vielgeplagter Mann. Aber immer ging und kam er mit fröhlichem Gesicht nach Hause. Jeden Morgen gegen 10 Uhr, die Sprechstunde war von 8-10 Uhr, fuhr er los mit dem Wagen und einem Pferdchen, später kam das zweite Pferd hinzu und erst 1924 das erste Auto. Welch ein Wunder vollzog sich da, der Kutscher, unser treuer guter Hans David, avancierte zum Chauffeur. Sprechstundenhilfen gab es noch keine. So war unsere gute Mutter dem Vater auf Schritt und Tritt zur Seite. Die kleinen und großen Unfälle wurden alle versorgt, und in ganz besonders kritischen Fällen musste die Hebamme noch helfen. Wir Kinder wuchsen in ein pflichtenreiches Leben, das aber auch lustig und originell war. Vor dem Haus war ein offener Graben mit einem kleinen Rinnsal, Matsch und Dreck. Ich glaube, täglich fiel eines von uns vier Kindern hinein, arme Mutter, arme Dienstmädchen! Auch ein sogenanntes Badezimmer gab es damals noch nicht. In der Waschküche stand eine große Zinkwanne, die wurde samstags in das Wartezimmer getragen, und der Kutscher trug eimerweise das heisse Wasser aus dem Waschkessel rauf. Und alle vier wurden wir dann bestimmt in einer Brühe geschrubbt. Die Schlafzimmer waren ungeheizt, abends lagen dickbauchige Wärmflaschen aus Kupfer in jedem Bett. Auch bedenke man, kein elektrisches Licht, keine Wasserleitung, kein Telefon. Die Petroleumlampen mussten jeden Morgen gerichtet werden und auf jedem Nachttisch stand eine Kerze für alle Fälle. 1920 kam das erste Telefon mit der Nummer 2, schätzungsweise 1905 elektrisches Licht und als mit dem Bau der Wasserleitung das Schleppen der Wassereimer aufhörte, vollzog sich ein weiterer Traum von Luxus. Bis dahin stand als Wasserversorgung eine wunderschöne Pumpe im Vorgarten zur Verfügung, die im Winter mit Säcken und Stroh umwickelt war und jeden Morgen nach Bedarf mit kochendem Wasser aufgetaut werden musste."

Dr. Rothfuchs war in vielfältiger Weise als Arzt gefordert. Im Gegensatz zur heutigen Zeit gab es kaum Medikamente, so beschränkten sich die Behandlungsvorschläge häufig auf Diätempfehlungen. Von Sanitätsrat Dr. Emil Rothfuchs weiss man, dass er mit Vorliebe Haferschleim verordnete, was ihm den Spitznamen "Dr. Haferschleim" einbrachte. Mitte der 30er Jahre übergab er die Praxis an seinen Sohn, Dr. Günther Rothfuchs, der mit guter Leibesfülle bei seinen Hausbesuchen kein Schlachtefest ausließ. Die Reihe der Ärzte setzte sich fort mit Dr. Rudolph Fenner, der Haus und Praxis im Jahr 1961 übernahm. Als zu Anfang des Jahres 1975 Dr. Houssein Taghizadeghan nach Wabern kam und das Haus in der Bahnhofstraße kaufte, herrschte in Wabern akuter Ärztemangel. Über geraume Zeit war Dr. Taghizadeghan der einzige praktizierende Arzt im Ort. Ende 1982 ging das Praxishaus in den Besitz von Dr. Helmut Hennighausen über. Durch einen Anbau im Jahre 1985 wurden die Praxisräumlichkeiten erweitert und der Eingangsbereich des Hauses neu gestaltet.

Zurück zur Kalenderseite